Georg Cantor gehört ohne Zweifel zu den originellsten Mathematikern des 19. Jahrhunderts. Wenn auch seine Schöpfung, die Mengenlehre, als mathematische Teildisziplin heute nicht mehr allzu viele Mathematiker besonders interessiert, so hat sie doch das Gesicht der gesamten Mathematik irreversibel verändert. Die mengentheoretisch-axiomatische Fundierung so gut wie aller mathematischen Disziplinen ist für uns heute Selbstverständlichkeit geworden. Cantors Idee, Abstufungen im Unendlichen durch transfinite Zahlen quantitativ zu charakterisieren, hat die Haltung der Mathematiker zum Unendlichen grundlegend gewandelt. Die Antinomien der Mengenlehre kannte Cantor von Anfang an (wenn auch in den meisten Büchern etwas Anderes behauptet wird). Sie haben ihn weder überrascht noch beunruhigt, weil er das Unendliche ontologisch verstand und es als sein bleibendes philosophisches Verdienst ansah, zwischen dem absoluten Unendlich (dem »Transfinitum in Deo«) und dem Endlichen zahllose Stufen des Transfiniten entdeckt zu haben.
Cantor war generell philosophisch sehr interessiert und gut beschlagen. Er diskutierte mit führenden katholischen Theologen, weil er der Meinung war, dass die Erkenntnisse der Mengenlehre auch für die Theologie relevant sind. In die Geschichte der Literaturwissenschaft ist Cantor als (wohl der einzige) prominente Wissenschaftler eingegangen, der die sog. Bacon-Shakespeare-Theorie verfocht und dazu sogar eigene Schriften publizierte. Im Vortrag wird auch noch kurz auf Cantors bemerkenswerte wissenschaftsorganisatorische Bemühungen und Erfolge und auf seine psychiatrische Erkrankung eingegangen.